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Kopftuch – Latzhose – Gabel und Besen, die Frauen in der Zuckerfabrik

Weibliche Arbeitskräfte waren in den Zuckerfabriken während der ersten Jahrzehnte nahezu unbekannt. Lediglich in den Büros und Laboreinrichtungen hatte man einzelne Frauen eingestellt. Selbst als in den Jahren des ersten Weltkrieges Mangel an männlichen Arbeitskräften herrschte, versuchte man diesen eher mit Kriegsgefangenen als mit weiblichen Arbeitskräften zu beheben. Erst mit der Aufstockung des Personalstammes während der 1930er Jahre begannen im Verwaltungs- und Laborbereich, als Reinigungskraft, Pförtner und Waagebediener vorrangig Frauen Fuß zu fassen. Ab 1941 war man gezwungen, während der Kampagne in Ermangelung männlicher – nun weibliche Arbeitskräfte einzustellen, wobei diese nun Tätigkeiten zu verrichten hatten, die zuvor von Männern erledigt wurden. Auch hier wurde versucht, die Zusatzkräfte aus dem ländlichen Bereich zu bekommen.

Der Mangel an männlichen Arbeitskräften machte auch nach dem Krieg die Frauenarbeit zu einem objektiven Erfordernis. Ihr prozentualer Anteil betrug 1947/48 bereits 8%, stieg danach rapide an, denn 1951 wurde der Anteil schon mit 18 % eingestuft. Der höchste Kampagneanteil wurde 1970 mit sage und schreibe 47% erreicht. Ab 1974 ging er auf etwa 40% zurück. Bis auf spezielle Berufsgruppen oder erforderliche Betriebsexperten sah man nun Frauen überall im Betrieb. Kopftuch, Latzhose und Gummistiefel gehörten zur Bekleidung, Gabel, Schaufel, Besen und Wasserschlauch zum Arbeitsmittel. Die Hälfte aller Frauen arbeitete unter freiem Himmel beim Ent- und Beladen von Fahrzeugen, an Förderbändern und beim Reinigen von Transport und Hofeinrichtungen.

Trotz der Devise „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ waren 90% der Frauen in den niedrigsten Lohngruppen eingestuft. Ständiger Kritikpunkt war der extrem niedrige Anteil der Frauen in leitenden Funktionen, obwohl zunehmend weibliche Hochschulingenieure ausgebildet wurden. Nur wenige wirkten – meist als Laborleiter – in dafür vorgesehenen Positionen.

Der Einsatz von Frauen machte Einrichtungen nötig, die man vorher gar nicht oder kaum in Erwägung ziehen brauchte. Bereits 1952 beschloss man Frauenförderungspläne, wurde auf Arbeitserleichterungen gedrungen. So wurden zu deren Entlastung zunehmend Kindergrippen und Kindergärten eingerichtet, Versorgungseinrichtungen wie HO oder Konsum direkt in die Fabrik gebracht, gehörte eine Betriebskantine zur Selbstverständlichkeit. Als Anreiz wurden Frauen mitunter öfter als Männer mit Auszeichnungen bedacht, förderte man (wenn auch mehr auf dem Papier als in Wirklichkeit) in Frauenausschüssen und Foren deren Anerkennung. Diese hier aufgezeigten Richtlinien trafen voll und ganz auch auf die Oschatzer Zuckerfabrik zu. Auch als die Zuckerfabrik in ihren letzten Betriebsjahren nur noch als Trockenfuttermittelfabrik arbeitete, waren Frauen noch ganz aktuell, gehörten Schaufel und Gabel noch immer in deren Hand.

Der in der Zuckerfabrik arbeitende Frauentyp war bis auf Ausnahmen von robuster Natur. Die meisten von ihnen waren Stolz, den Männern ebenbürtig zur Hand gehen zu können. Ein Großteil von ihnen war in der Ausübung ihrer Tätigkeiten sogar gewissenhafter, andere nutzten die Betreuungserleichterungen durch das Kranksein von Kindern über Gebühr aus.

Fazit: Die weibliche Arbeitskraft war anfangs dem Mangel an männlichen Arbeitskräften geschuldet, später ein fest eingeplantes Arbeitserfordernis, ohne ein solches die Zuckerfabrik hätte nicht existieren können.


Die Kollegin Rutsch gehörte zum Stamm des Laborpersonals
Foto: Hunger
Ein über Jahrzehnte hinaus typisches Foto weiblicher Zuckerfabrikbeschäftigung.
Foto: Hunger

 

Tockenfuttermittelherstellung - das zweite Standbein der Zuckerfabrik Oschatz

Um das in der Landwirtschaft erzeugte Tierfutter mehr und besser als bisher konservieren zu können, bekamen die Zuckerfabriken 1960 auf einer Plenartagung der SED den Auftrag nebenbei Grünfutter und Getreide zu trocknen. Die Voraussetzungen dafür waren bei den 63 Fabriken mit ihren 124 Trockentrommeln durch das Herstellen von Schnitzelmasse bzw. deren Trocknung bereits gegeben. Erste Trockenversuchen mit Grünfutter erfolgten bereits gegen Ende der 1930er Jahre und auch in der unsrigen Zuckerfabrik war bereits 1940/41 die Schaffung einer Rübenblatt und Grünfuttertrocknung geplant, deren Fertigung jedoch den Kriegsjahren zum Opfer fiel. 1954 wurde das Vorhaben von einst in den modernisierten Einrichtungen von Dehlitzsch und Ketzin wieder aufgenommen und mit Erfolg praktiziert. 1959 waren es schon sechs Fabriken, die bereits 5680 Tonnen Futter trockneten. In Folge wurden sogar Zuckerfabriken dafür auserkoren, nur noch als Trockenfuttermittelwerk (Oschersleben, Teuchern, Bernburg) zu arbeiten. In den Zuckerfabriken, die das Trocknen außerhalb der Kampagne (so auch Oschatz) durchführten, war die Trockenzeit vom Mai bis August festgelegt. In Oschatz begann man damit stets am 01. Mai, was den Arbeitern den Maiumzug ersparte.

Bevor auf das Trocknen von Futtermittel und Getreide näher eingegangen wird, soll dem Trockenprozess der Rübenschnitzel einige Aufmerksamkeit erbracht werden.

Von Anbeginn wurde der ausgelaugten Rübenmasse als Futter große Bedeutung zuerkannt. Vor allem dann, wenn nach dem Steffenschen Brühverfahren noch 3% Zucker im Abfall erhalten blieb. Diese Schnitzelmasse wurde der Landwirtschaft als Nass- oder Trockenprodukt angeboten. Wertvoller und länger Haltbarer waren die getrockneten Schnitzel. Doch deren Herstellung erwies sich nicht immer als einfach, weil die in den Trockentrommeln nötige Temperaturregelung (im Eingang 800° C - im Ausgang nur noch 80°) sehr schwierig war und oft zu verkohlten Schnitzeln führte, die dann auf der Müllhalde landeten. Auch wurde die Lagerung der getrockneten Schnitzel zum Problem, weil durch Eigenentzündung mehrfach Brände entstanden, deren Löschung sich als äußerst aufwendig erwies. 1958 musste nach solch einem Brand der bisherige hölzerne durch einen gemauerten Schnitzelschuppen ersetzt werden. Ein weiteres Ärgernis für die Umwelt war die aus der Trockentrommel abgesaugte Luft als auch der Rüden, ein sicht- und riechbarer Wasserdampf, der, je nach Windrichtung, einen süßlich verbrannten Geruch verbreitete. All diese Nachteile mussten in Kauf genommen werden, wobei die Oschatzer Fabrik noch den Vorteil hatte, dass sich auf ihrer östlichen Seite keine menschliche Besiedlung befand.

Kommen wie nun zum eigentlichen Thema, der Futtermitteltrocknung. Getrocknet wurde zunächst an Grünfutter vorrangig Klee und Luzerne sowie ein sog. „Landsberger Gemenge“. Eine wichtige Voraussetzung für das Trockner der Grünmasse war eine gleichmäßige Schnittlänge. Als Voraussetzung einer effektiven Trocknung wurde auch ein Eintrocknungsverhältnis gewertet, wodurch vor allem weniger Energie als bei frisch geernteten Nassgut verbraucht wurde. Die wichtigsten LPGen waren Pflichtlieferer, die ihre Ware selbst zuzuführen als auch abzuholen hatten. Dies waren u. a, die KAB der Bereiche Niedergoseln, Borna und Oschatz, sowie die LPGen von Stauchitz und Ablaß. Zu Anfang der 1970er Jahre wurde neben Grünfutter auch Getreide getrocknet: Roggen, Gerste und Weizen, wenn deren Feuchtigkeit 18% überschritt. Hieran war vorrangig die Getreidewirtschaft beteiligt, in deren beiden Speichern das getrocknete Getreide eingelagert wurde. Als 1986 die Entscheidung getroffen wurde, dass die Oschatzer Zuckerfabrik von nun an die Zuckerherstellung einstellt, dafür aber zweidritteljährig im Vierschichtsystem getrocknete Futtermittel herzustellen hat, waren dazu nur wenige Produktionsveränderungen erforderlich. Als Besonderheit erwies sich, dass ein Gutteil der Rüben als Schnitzelmasse mit vollem Zuckergehalt verarbeitet wurde (sog. Vollschnitzel) , um in der Schweinemast Verwendung zu finden. 1987 wurden z. B. 2000 Tonnen Trockengut, das waren täglich etwa 180 Tonnen Nassgut hergestellt. Das Vorhaben, an Getreide 10.000t zu trocknen, wurde allerdings nicht erreicht. 1985 waren es 8545 Tonnen. Zur Trocknung von Kartoffeln war mit Hilfe eigener Neuerer eine neue Technologie nötig.. Erstmals im Sept. 1987 im Versuch, 1988 dann generell, wurden während der Erntezeit Kartoffeln zu deren Trockenverarbeitung angefahren. Futterpellets wurden nicht hergestellt. Das Vorhaben, die nach dem Ende der Zuckerherstellung leere Fabrikhalle zur Produktion von Chicorée zu nutzen, war nahe an deren Verwirklichung gediehen, doch dann kam der „Wendeherbst“ und damit das Aus der Fabrik.


Das getrocknete Futtermittel kam, je nach äußerer Temperatur, noch dampfend auf das Transportfahrzeug
Foto: G. Hunger (LVZ)



Auch in den letzten Betriebsjahren während der Futtermittelbearbeitung noch aktuell, der Einsatz weiblicher Arbeitskräfte
Foto: LVZ/Hunger
 

Welch innerbetriebliches Gaudi, wenn von einigen Angehörigen im Sommer das Gradierwerk als Badestelle genutzt wurde
Foto: Riedler
 

40 Jahre später ist dieses Wasserabsatzbassin nur noch ein funktionsloses Relikt
Foto: Scheffler
 

Das in den 60er Jahren in der Döllnitz geschaffene Stauwehr sorgte dafür, dass bei Bedarf genügend Brauch- und Spritzwasser vorhanden war
Foto: Scheffler
 

Noch heute (2009) funktionieren zwei der zur Wasserversorgung der Zuckerfabrik geschaffenen Brunneneinrichtungen
Foto: Scheffler

 

Vom Ende der Kampagnezeit der Oschatzer Zuckerfabrik

In der Silvesternacht von 1984 zu 1985 kam es am Kessel I, dem sog. „Wienandkessel“ zu einer Havarie, weil durch die Unaufmerksamkeit des Kesselwärters der Kessel ohne Wasser gefahren wurde. Wie durch ein Wunder kam es zu keiner Explosion. Die Kampagne musste dadurch abgebrochen werden. Die noch vorhandenen Rüben mussten nach Dehlitzsch und Brottewitz abgefahren werden. Der Kessel wurde wieder repariert, doch brachte er danach nicht mehr die volle Dampfleistung von 12,5t/h. Trotz dieser geringeren Dampfleistung wurde mit Unterstützung des Kessels II im Sept. 85 die neue Kampagne gestartet. Da geschah etwas, was der nicht voll arbeitenden Zuckerfabrik zu Gute kam. Ein eiserner Umlegering des 68 Meter hohen Schornsteines hatte sich gelöst und war, ohne Schaden anzurichten, in die Tiefe gestürzt. Weil Fachbegutachter beurteilten, dass Einsturzgefahr bestünde, musste die Kesselhausanlage außer Betrieb genommen werden und ein Großteil des Fabrikgeländes abgesperrt werden. Und das mitten in der Kampagne. Erneut mussten die noch vorhandenen Rüben und die der vorgesehenen Anlieferung nach Dehlitzsch gefahren werden. Im Jahr 1986 hatte eine Magdeburger Firma den Schornstein um 20 Meter abgetragen und gesichert, so dass die Heizeinrichtungen wieder in Betrieb genommen werden konnten. Um jedoch einen vollen Kampagnebetrieb durchführen zu können, hätte es eines neuen Kessels bedurft. Weil die Zuckergewinnung in Oschatz inzwischen wenig effektiv war und ein neuer Kessel mit empfindlichen Kosten verbunden gewesen wäre, traf man am 05. Mai 1986 die Entscheidung, die Zuckerherstellung einzustellen. Weil die Zuckerfabrik von nun an nicht mehr ausgelastet war, suchte die Verwaltung nach neuen Produktionsmöglichkeiten. Man kam zu dem Entschluss, die Futtermittelherstellung weiter auszubauen und einen weit größeren Teil als zuvor zu Schnitzelfutter zu verarbeiten. Während der Erntezeit der Rüben konnten die Bauern nach wie vor ihre Zuckerrüben in die Fabrik bringen, welche dann täglich zur Weiterverarbeitung nach Dehlitzsch gebracht wurden. Das waren mitunter täglich bis zu 40 Waggons in sogenannten Ganzzügen. Bis auf Ausnahmen, war es nun nicht mehr notwendig, Kampagnekräfte aus der Landwirtschaft einzustellen. Von nun an war die bisherige Zuckerfabrik ein Betriebsteil der Zuckerfabrik Dehlitzsch, welche als „Trockenwerk“ benannt wurde.

 

Mit der Wende kam das Aus

Seit 1986 erledigte die Zuckerfabrik ihre Aufgaben nur noch als Trockenfuttermittelproduzent, Rübensammler und Schnitzelverarbeiter. Einigen Gebäudebereiche waren ausgeräumt und wirkten verlassen. Das Vorhaben, sich mit weiteren Herstellungsinitiativen über Wasser zu halten, kam nur stockend voran und scheiterte mit der Wende. Im März 1990 kam es zur letzten Betriebsversammlung, bei welcher die noch zugehörigen Beschäftigten durch das Mitführen eines Holzsarges nebst Trauerflor das Ende voraussahen. Kombinats- und Betriebsleitung kündeten in einer kontroversen Diskussion das Aus des Betriebes an, welches am 31.12.1990 dann auch besiegelt wurde. Einige Arbeiter fanden noch bis zum Ende der benachbarten Döbelner Zuckerfabrik eine Beschäftigung.

Unternehmensversuche aus dem Westen scheiterten an der Unattraktivität der alten Bausubstanz. Schließlich nahm sich der Südzuckerkonzern des Grundstückes an und veräußerte es in private Hand. Für kurze Zeit wurde eine Mischanlage für Baustoffe betrieben, doch die privaten Besitzer waren mit der Zukunft des immerhin 88 000 m/2 großen Geländes überfordert. Selbst als Rückführungsansprüchen vom Tisch waren, neue Investoren sah man wohl kommen, doch alsbald auch wieder gehen.

Die Oschatzer Zuckerfabrik erlebte glanzvolle Kampagnen, aber auch schicksalhafte Jahre. Ihr einhundertjähriges Bestehen erlebte sie nicht mehr.

Doch welch Kuriosum: wenngleich inzwischen die Sterne durch eingesunkene Dächer scheinen und meterhohe Bäume deren Häuptern krönen, die Uhren aber, die ticken noch und der Strom sorgt, wenn man am Schalter dreht, hier und da noch für ein letztes Licht.


Fotogene Erinnerung an das Zuckergleis nebst Waageeinrichtung, links die ehemalige Betriebskantine
Foto: Scheffler
 

Im Inneren bereits ausgehöhlt war 2009 die Fabrik, der Abriss war vorgesehen, aber noch nicht in Gang gebracht
Foto: Scheffler
 

Welch trostlose Erinnerung an die südliche Schieneneinfahrt zur Zuckerfabrik
Foto: Scheffler
 

Die Industriebrache Zuckerfabrik um 2000 von oben betrachtet
Foto: G. Hunger
 

2008, Ansicht von der Südseite, rundum ein Trümmerfeld
Foto: Scheffler
 

2008, Ansicht von der Nordseite, die Schafe sorgen als „Rasenmäher“ für Ordnung
Foto: S. Bahnemann

 

 

Quellenverzeichnis:

Südzuckerarchiv Obrigheim (Pfalz)

Stadtarchiv Oschatz

Projektarbeit Antje Lindner (1995)

Heimatbuch Schule / Haus 1914

Heft 7 Landwirtschaft (Schlegel)

Aufzeichnungen Härtwig 1885/87

Private Aufzeichnungen und Hinweise
von R. Scheffler, M. Rüster, M. Lindner,

D. Queißer und H. Mararasch


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